Geschichte des Lhasa Apso
Über den Ursprung und die Herkunft des Lhasa Apso gibt es unterschiedliche Meinungen und Spekulationen. Teilweise wird er sogar als chinesischer Hund bezeichnet. Dafür existieren jedoch keine Beweise. Bewiesen ist vielmehr, daß die Manzhu-Kaiser der Qing-Dynastie (1644-1911) seit Beginn ihrer Herrschaft über China vom tibetischen Herrscherhaus des Dalai Lama öfter Apso-Hunde als Geschenk erhielten. Ob es sich bei den kleinen Löwenbegleithunden am Hofe des chinesischen Kaisers Chubilai Chan (1260 bis 1294) um Lhasa Apsos gehandelt hat, ist aus Marco Polos Reiseerzählungen nicht zuverlässig ersichtlich. Er berichtet aber auch von den kleinen goldfarbenen Hunden, die wie kleine Löwen aussehen und von hochgestellten tibetischen Familien in ihren Häusern gezüchtet werden. Dafür deutet der Name Lhasa Apso in jeder Form der Auslegung auf tibetischen Ursprung der Rasse hin.
»Apso« nennt der Tibeter jeden wuscheligen, langhaarigen Hund ganz allgemein. Die Rückführung auf das Wort »Abso« ergibt »bellender Posten« oder »kläffende Wache« und könnte für den wachsamen Klosterhund ebenso zutreffen wie auch die geläufige Ableitung des »Apso« aus »Rapso«, was tibetisch eine Art zottig-langhaarige Bergziege bedeutet.
Bei den kleinen langhaarigen, löwenähnlichen Hündchen, die die chinesische Prinzessin Wencheng nach ihrer Hochzeit 641 mit dem Tibetherrscher Srongtsen Gampo ihren Eltern an den Hof Chinas schicken ließ, dürfte es sich mit Sicherheit um Apsos gehandelt haben. Der Tibeter nennt die Lhasa Apsos nur Apsos, aber auch Abso Seng Kyc, was »bellender Löwenhund« bedeutet, oder Seng Tru, die Bezeichnung für Löwenjunges.
Die heutige Form des Lhasa Apso ist der besonders kleine und niedrige Apso, der in Lhasa gezüchtet wurde. Tatsächlich ist ja der Übergang des Lhasa Apso zum Tibet Terrier in Tibet nicht immer streng zu trennen. Aus jüngeren Berichten tibetischer Lamas, die im Ausland leben, bestätigt sich die Art der Züchtung der kleinen Lhasa Apsos im Kloster, so wie es zu Anfang dieses Jahrhunderts von den Tibetreisenden berichtet wurde. Danach behielten die Klöster jeweils nur die kleinsten Exemplare eines Wurfes, die »Gompa Apsos«, die größeren gelangten als Geschenk unter die Tibeter außerhalb der Klöster oder wurden einfach in Dörfern ausgesetzt und »Leute-Apsos« genannt, tibetisch »Patost«. Diese Apsos waren stets größer und teilweise vom Tibet Terrier kaum zu unterscheiden. Andererseits wurden ja auch kleine Exemplare der Tibet Terrier als Huldigungsgeschenke von Tibetern an die Klöster gegeben. So ist es heute nur zu verständlich, daß in den zwanziger Jahren noch arge Verwirrung bezüglich der zwei Rassen bestand, die gemeinsam als Lhasa Terrier bezeichnet wurden.
Der Ursprung des Lhasa Apso und der des Tibet Terriers liegen eng beieinander. Die archäologischen Funde von Prof. Ludwig von Schulmuth in Zentralasien geben dafür entsprechende Hinweise. Danach dürften beide Rassen von den Owtscharka-Rassen Innerasiens ihren Ausgang genommen haben. Die aus den Owtscharka-Rassen stammenden Mongolenhunde weisen schon sehr unterschiedliche Formen auf und variieren von kleinen Begleithunden bis zu großen Hütehunden. Als eine kleine Begleithundrasse weist sich der Mandschurische Schneehund aus, der mit dem Pudel verglichen wird. Er soll ein dickes Fell mit dichten, langen und weißen Haaren gehabt haben. Seine Schnauze war quadratisch, und er hatte Hängeohren. Die Verbindung der Vorfahren des Pudels zu den Hütehunden Zentralasiens wird auch von vielen anderen Kynologen gesehen. Obwohl es Spekulation ist, die beschriebenen Rassen direkt auf diese Grundform der mongolischen Herdenhunde zurückzuführen, wissen wir von der beträchtlichen Er weiterung der innerartlichen Variation der Hunde in bestimmten Gebieten.
Die weitere Entwicklung des Lhasa Apso von der Mongolenhundgruppe über die Berghunde des südlichen Kunlun-Gebirges zum tibetischen Wohnungs- und Klosterhund würde sich in die jahrtausendealte Handelskarawanenbeziehung zwischen diesen Gebiet ten gut einordnen. Dabei ist immer davon auszugehen, daß sich das Erscheinungsbild der Rasse stetig in Veränderung befunden hat und durch unterschiedliche Einkreuzung gen auf den Karawanenwegen stark variierte. Das bestimmende Zuchtziel in seiner tibetischen Heimat garantierte jedoch schon in frühen Zeiten die Selektion der kleinen, löwenähnlichen Hunde. Sichere Beweise für die kleinen langhaarigen Apsohunde liefern älteste Teppichmuster, Wandgemälde in Klöstern und figürliche Darstellungen. So beziehen sich die Erwähnungen der kleinen Löwenhunde Tibets von 800 bis 500 v. Chr.. durchaus auf echte Apsos in der damaligen Erscheinungsform. Die bereits erwähnte Zuchtpraxis in den Klöstern bestimmte die entscheidenden Entwicklungsformen des Lhasa Apso zu seinem heute festgeschriebenen Typ. Die von Lamas beschriebene Aufzuchtmethode erscheint uns heute für die Zuchtpraxis fast grausam, zumindest aber mangelhaft. Danach werden die tragenden Apsohündinnen nur mit geringsten Futtermengen versorgt, die sie gerade nötig haben. Die Welpen erhalten in der Aufzuchtperiode vor dem sechsten Monat absolut kein Fleisch sondern höchstens etwas Fleischbrühe. Hauptsächlich werden die Welpen mit Gemüse, Gerstenmehl (Tsampa) und Milch ernährt. Die mögliche »fremde« Beeinflussung des Lhasa Apso durch chinesische Einkreuzungen oder durch die Verknüpfungen, die über die Hundegeschenke zwischen den Herrscherhäusern bestanden, ist nicht sicher beweisbar. Es scheint zwar zunächst naheliegend und logisch, daß die Verkürzung des Gesichtsschädels beim Lhasa Apso auf die kurzköpfigen chinesischen Rassen, vor allem den Peking-Palasthund, zurückzuführen wäre. Dagegen spricht jedoch die absolut isolierte Haltung der Pekinesen im Kaiserpalast und das Zuchtziel auf extrem verkürzten Schädel, so daß eine Einkreuzung mit längerem Schädel kaum stattgefunden haben dürfte. Parallelen zum Shih Tzu sind für den Lhasa Apso sicher nicht zutreffend. Aus der Entwicklungsgeschichte der Hunde ist ja bekannt, daß sich verkürzte Gesichtsschädel gleichzeitig in verschiedenen geographischen Gebieten der Erde entwickeln können (z. B. Chincha-Bulldogge in Nordperu).
Oft wird der Lhasa Apso als Kreuzung zwischen Tibet Terrier und Tibet Spaniel bezeichnet. Das würde auf einfache Art manches Merkmal erklären, und tatsächlich gibt es ja bei Lhasa Apso-Würfen gelegentlich kurzhaarige Welpen. Das kann jedoch auch beim Tibet Terrier auftreten und ist deshalb eher eine Mutation als ein Erbrückschlag. Andererseits werden Lhasa Apso und Pekinese als Kreuzungseltern des Tibet Spaniel angesehen. Diese Abstammungsrechnungen gehen jedoch nicht auf. Von allen ostasiatischen Rassen vererbt der Tibet Spaniel am saubersten, so daß er mit zu den ältesten Rassen zählen dürfte. Da auch beim Pekinesen Erbrückschläge hinsichtlich eines längeren Gesichtsschädels und längerer Beine auftreten, dürfte er mit dem Tibet Spaniel gemeinsame Vorfahren haben. Wenn wir beim Lhasa Apso von »fremden« Einflüssen sprechen, dann kommt nur der Tibet Spaniel mit seinen Vorformen in Frage. Die Verbreitung des kleinsten Lhasa Apso und des Tibet Spaniel decken sich weitestgehend. Lhasa und die nordöstlichen Gebiete nahe Zentralchina waren ihre Heimat. Die schöne goldene Farbe der Tibet Spaniels und der niedrige Körperbau ließen ihre Vorfahren für eine Kreuzung mit Apso-Kleinformen durchaus als geeignet erscheinen. Das Zuchtziel war ja immer ein kleiner löwenähnlicher Hund. Außerhalb von Lhasa war der heutige Typ des Lhasa Apso auch kaum zu finden. Ausnahmen waren nur die von Kloster zu Kloster geschenkten Hunde, die üblicherweise paarweise als Glücksbringer überreicht wurden. So blieben echte Lhasa Apsos eine wertvolle Seltenheit. Die Tibeter erzählen sich eine hübsche Sage über die Herkunft der Apsos in ihrem Land. Danach lebte vor langen Zeiten eine weißköpfige Tiergottheit, die gleitend fliegen konnte und »Sako« hieß. Sie hatte ihr Nest im hohen Fels und aß Knochen. jedes Jahr wurde von ihr ein junges mit Flügeln und eines ohne Flügel geboren. Das Junge ohne Flügel war ein kleiner Apso und wurde von der Mutter im Nest gefüttert. Das geflügelte junge konnte sich selbst Nahrung suchen. Nachdem ihre ersten Apsos aus dem Nest fielen, nahm die Mutter eines Tages ein kräftiges Apso-Junges auf den Rücken und flog hinab ins Tal. So kamen die Apsos nach Tibet. Viele Leute in Tibet sahen die kleinen Apsos von der Art, die die Tiergöttin »Sako« zur Erde gebracht hatte ...
Wann die ersten Lhasa Apsos nach Europa kamen, ist nicht mehr genau festzustellen, da mit den ersten Tieren offensichtlich keine planmäßige Zucht betrieben und weitere registrierte Nachkommen nicht bekannt wurden. Es gibt Berichte, daß bereits 1854 die ersten Exemplare nach England gekommen sind. Im Jahre 1901 wird in der englischen Kennelzeitschrift eine Beschreibung dieser Hunde, die damals Bhutias genannt wurden, veröffentlicht und über ausgestellte Lhasa Apsos berichtet.
1906 wurde ein weiterer Lhasa Apso aus Shigatse nach England importiert. Zu dieser Zeit hatte auch schon die bereits erwähnte Younghusband-Expedition, die 1904 Lhasa erreichte, mehrere Exemplare dieser Rasse mit nach England gebracht, die als Lhasa Terrier bezeichnet wurden. Man erkannte jedoch bald, daß diese Lhasa Terrier recht unterschiedliche Größen sowie verschiedene Nasenlängen hatten. Darüber gibt es Berichte von Bush und Darstellungen von Drury in seinem Buch über englische Hunde von 1903, in dem Vergleiche einmal zum Skye Terrier und andererseits zum Japan Spaniel vorgenommen werden. Mit Sicherheit waren nach diesen Beschreibungen damals schon Tibet Terrier als Lhasa Apsos angesehen worden, obwohl sie bis 1928 weiterhin alle unter dem Namen Lhasa Terrier geführt wurden. Auch das von Frau Dr. Greig importierte Tibet Terrier-Pärchen wurde 1926 vom britischen Kennel Club als Lhasa Terrier bezeichnet und registriert. Andererseits hielt Frau Dr. Greig bereits vor ihrer Bekanntschaft mit den Tibet Terriern seit 1923 Lhasa Apsos und Tibet Spaniels mit in ihrem Wohnbungalow in Cownpore in Nordindien und kannte diesen Rassenunterschied genau. Erst mit den Importen durch den bekannten britischen Oberst Bailey im Jahre 1928 und der von ihm mitgebrachten Bezeichnung »Apso« für seine kleineren Tibethunde begann sich die Verwirrung um diese zwei Rassen zu klären, und 1934 erkannte der Kennel Club die heutige Rassebezeichnung offiziell an. Mit den von der Familie Bailey mitgebrachten Apsos begann die eigentliche Zucht dieser Rasse in Europa. Erwähnenswert ist die Begebenheit, wie Familie Bailey zu den ersten Apsos in Tibet kam, da es eine Parallele zu den Ereignissen um den Erwerb der ersten Tibet Terrier von Frau Dr. Greig ist. Frau Bailey bekam ein Pärchen Apsos von einem Oberst des indischen medizinischen Dienstes bei ihrem jährlichen Besuch ihres Mannes in Tibet geschenkt. Dieser hatte die Apsos vom obersten tibetischen Militärkommandeur als Dankgeschenk für die medizinische Hilfe erhalten. Mit viel Mühe züchtete Frau Bailey unter Verwendung weiterer Apsos von wohlhabenden Tibetern im nordindischen Grenzgebiet zu Tibet die ersten Würfe. Mit sechs Lhasa Apsos dieser Würfe begann dann der Zuchtaufbau in England. Es waren vor allem britische Offiziere, die weitere Apsos mit nach England brachten. Von Oberst Duncan wird in seinem Buch bestätigt, daß es sehr schwer war, in Tibet einen Lhasa Apso zu sehen oder gar zu erhalten. Da die Tiere je nach Landstrich in Tibet sehr verschieden aussahen, gab es über den eigentlichen Typ noch immer Unklarheiten. Duncan berichtet, daß sehr viele Lhasa Apso-ähnliche Hunde in Dörfern und als Karawanen-Begleiter zu sehen, die kleinen Tiere des wahren Typs jedoch nur in Klöstern und in den Häusern kultivierter Familien zu finden seien. Die »wertvollsten« Apsos gab es auch nach 1930 nur in Lhasa. Das waren fast ausschließlich goldfarbene und hellere bis rötlichgelbe Tiere. Ganz schwarze Exemplare waren ebenfalls selten und sehr wertvoll. Parallel zur Zuchtlinie der Bailey-Importe züchtete auch Frau Dr. Greig auf der Grundlage eigener Importtiere Lhasa Apsos und brachte in den dreißiger Jahren Spitzentiere hervor, die eine rötlich goldgelbe Farbe hatten. Vielfach wurde vor dem zweiten Weltkrieg die Ansicht vertreten, daß nur goldfarbene Tiere Apsos seien. Besonders verwirrend wurde das Bild, als die ersten Shih Tzus verschiedenster Färbung importiert und häufig mit den Lhasa Apsos verwechselt wurden.
Gleichzeitig mit den europäischen Zuchtentwicklungen entstand in den USA eine separate Lhasa Apso-Zuchtlinie auf der Grundlage von Originalimporten aus dem Potala in Lhasa. Der Amerikaner Cutting nahm 1925 an der Roosevelt-Expedition nach Westchina teil und besuchte von dort aus mehrmals Tibet. Es gelang ihm, mit dem 13. Dalai Lama in Kontakt zu kommen, woraus sich später eine herzliche Freundschaft entwickelte. Cutting schickte dem tierliebenden Dalai Lama ein Pärchen Dalmatiner und ein Pärchen Deutsche Schäferhunde. Leider verstarben die Hunde bald infolge einer Infektion. 1933 schenkte der Dalai Lama der Familie Cutting ein Pärchen schwarzweißer Lhasa Apsos mit der Bitte um beste Pflege. Interessant ist die Mitteilung der Familie Cutting, die bis 1937 mehrmals Tibet durchreiste, daß sie im Sommerpalast des Rimpoche im Norbu Linka außer gepflegten Tibet Doggen auch mehrere sehr schöne Pekinesen und sogar einen ganzen Wurf sah. Insgesamt fünf Lhasa Apsos, die die Familie Cutting als Geschenk erhalten hatte, bildeten die Zuchtgrundlage in New Jersey, die als Hamilton Linie berühmt wurde. Noch 1950 erhielten die Cuttings ein Pärchen Lhasa Apsos vom 14. Dalai Lama als Geschenk, das auf einer abenteuerlichen Reise mit Yaks nach Kalkutta geritten wurde und per Flugzeug nach New Jersey kam. Die Hamilton Farm bestand bis 1961 und exportierte Spitzentiere in alle Welt, so daß heute viele Stammbäume diesen Zwingernamen als Ausgangspunkt haben.
Nach Deutschland wurden Mitte der fünfziger Jahre einige Lhasa Apsos von Himalajareisenden mitgebracht, die aus der Zucht des Mount Everest-Besteigers Tensing Norkay aus Darjeeling stammten. Dieser bekannte Sherpa hatte seine Zuchttiere ebenfalls aus dem Rimpoche Kloster in Tibet als Geschenk erhalten. Die Zuchtlinien in Deutschland entstanden jedoch erst durch die Importe von Herrn Miebach aus Indien und Frau Dr. Tauber aus England, die später durch weitere Importe anderer Liebhaber gefestigt wurden. Dänemark, Schweden, Niederlande, Kanada und Australien sind weitere Länder mit inzwischen bekannten und erfolgreichen Zuchtlinien.